
Ein Forschungsteam der Greifswalder Transfusionsmedizin hat in Zusammenarbeit mit Kollegen aus Österreich eine neue Ursache für Schlaganfälle bei Neugeborenen identifiziert. Die Studie, die kürzlich im renommierten New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, beschreibt, wie Anti-PF4 Antikörper von der Mutter auf das Kind übertragen werden und Thrombosen auslösen können.
„Dass Antikörper während der Schwangerschaft von der Mutter auf das Kind übertragen werden können, ist gemeinhin bekannt und wird oftmals als Nestschutz bezeichnet“, erklärt Prof. Thomas Thiele, Institutsleiter der Greifswalder Transfusionsmedizin. „Dass aber auch Anti-PF4 Antikörper von der Mutter übertragen werden und damit Thrombosen beziehungsweise Schlaganfälle bei dem Kind ausgelöst werden können – das ist neu.“ Die Antikörper können bereits vor, während oder erst nach der Geburt zu einem Schlaganfall führen.
Der Mechanismus wurde anhand eines Falles aus Österreich entdeckt: „Eine Kollegin aus Salzburg kontaktierte uns, weil der Antikörper-Test eines Neugeborenen, das kurz nach der Geburt einen Schlaganfall erlitt, positiv ausgefallen war“, berichtet Thiele. In Greifswald wurde das Blut der Mutter und des Kindes analysiert – mit dem Ergebnis, dass beide die gleichen Antikörper aufwiesen, die Thrombosen auslösen können. „Warum die Mutter in diesem Fall die Anti-PF4 Antikörper hat – das steht auf einem anderen Blatt“, so Thiele weiter. Frühere Forschung der Greifswalder Transfusionsmedizin hatte diese Antikörper bereits im Zusammenhang mit der sogenannten VITT-Erkrankung, einer seltenen Nebenwirkung bestimmter COVID-19-Impfstoffe, untersucht. Nun zeigt sich, dass auch überstandene Infektionen oder bestimmte Vorerkrankungen eine Rolle bei der Entstehung dieser Antikörper spielen könnten.
Die gute Nachricht: Werden die Antikörper nur während der Schwangerschaft von der Mutter auf das Kind übertragen, sinkt das Thromboserisiko nach der Geburt schrittweise. „Über einen Zeitraum von etwa sechs Monaten werden diese Antikörper bei dem Kind normalerweise abgebaut, bis sie nicht mehr nachweisbar sind“, erklärt Thiele.
Prof. Karlhans Endlich, Wissenschaftlicher Vorstand der Unimedizin Greifswald, hebt die Bedeutung der Entdeckung hervor: „Dass diese Untersuchungsergebnisse nun im New England Journal of Medicine erschienen sind, zeigt einmal mehr, dass die Greifswalder Transfusionsmedizin hinsichtlich der Labordiagnostik zur Weltspitze gehört. Die Autoantikörper gegen PF4 bergen noch weit über VITT hinausgehendes Potenzial für die Aufklärung von Pathomechanismen bei thrombotischen Erkrankungen.“
Thiele betont die Notwendigkeit weiterer Forschung, um die Häufigkeit dieser Antikörper-Übertragung und mögliche Maßnahmen zur Risikominimierung für Mutter und Kind zu untersuchen. „Für die behandelnden Ärzte bedeutet das, dass sie hinsichtlich dieser Erkrankung sensibilisiert sind und sich auch an uns wenden, damit wir weitere Untersuchungen durchführen können.“
Originalpublikation: New England Journal of Medicine